Berlin - Prenzlauer Berg



„Auf den Hügeln, rund um die Zentren großer Städte, stößt man merkwürdigerweise oft auf so eine Art städtisches Bergvolk, rau und unangepasst.“ (Daniela Dahn)

Einwohnerstruktur und Gentrifizierung
Aktuell etwa 8.000 Mietshäuser, rund 150.000 Einwohner, neuerdings Mietpreise wie in München, und Bewohner, die dafür einen überdurchschnittlich hohen Teil ihres Monatseinkommens berappen – das ist heute das Wohngebiet Prenzlauer Berg. Es ist jung, es ist begehrt und es verändert sich mit hoher Geschwindigkeit. Der Stadtteil macht in der ganzen Republik Schlagzeilen, weil Konflikte zwischen den alteingesessenen Bewohnern und den neuen Wohnungsmietern und -eigentümern exemplarisch für den Begriff der Gentrifizierung stehen. Nachbarn im Rentenalter, andere, die in den Nachwende-Jahren den Prenzlauer Berg zu einem umtriebigen subkulturellen Zentrum mit Weltruf gemacht haben auf der einen Seite, auf der anderen jene, die aufgrund der Realitäten des Immobilienmarktes und der denkmalpflegerischen und/oder spekulativen Sanierung heute den Wohnungsmarkt zu einer teuren Angelegenheit gemacht haben. Nicht zuletzt diejenigen, die sich diese Wohnungen leisten können, aber wiederum von außerhalb zuziehen, beleben auf dem Gebiet zwischen der Torstraße im Süden und dem Ring Ostseestraße im Norden einen noch schwelenden Konflikt.

Die Anfänge der Bebauung
Als man um 1850 die Ringstraßen plante, die heute die Ostseestraße und Bornholmer Straße ausmachen, protestierten die Berliner: Dass die Stadt, die bis ins frühe 19. Jahrhundert auf Höhe der Torstraße von der Stadtmauer begrenzt worden war, einmal so weit nach Norden wachsen würde, konnte man sich schlichtweg nicht vorstellen. Dort gab es doch nur ein paar Windmühlen. Da das Gebiet des heutigen Prenzlauer Berges auf der Anhöhe liegt, die eine Endmoräne des Barnims im Norden der Stadt sind, gab es hier tatsächlich stets ausreichen Fallwinde, um den größten Teil der Mehlproduktion der gesamten Stadt zu mahlen.




Berlin. Prenzlauer Berg, Windmühlenberg, 1896, aus: Mitteilungen für die Geschichte Berlins, Nr. 6, 1896. Deutsche Fotothek‎ [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons  



Die Schönhauser Allee
Die Schönhauser Allee trägt ihren Namen, da sie auf das Dorf Niederschönhausen im heutigen Stadtteil Pankow zuführt. Bis ins 13. Jahrhundert führte der Weg durch den Wald, später durch Felder. Im 17. Jahrhundert wurde das Schloss Schönhausen gebaut und da Friedrich II. seine verstoßene Gattin 1740 dort unterbrachte, wurde die Schönhausensche Landstraße eine Protokollstrecke. Es wurden am Straßenrand Linden angepflanzt - nun war sie eine Allee, hieß aber noch nicht so.

Kurz nach 1700 waren an ihrem untersten Ende die ersten Häuser entstanden, im frühen 19. Jahrhundert begann langsam die Bebauung des Mühlenberges. Christian Wilhelm Griebenow kaufte daraufhin 1823 das vor dem Konkurs stehende königliche Vorwerk samt seiner Ländereien zu günstigen Konditionen, mit der Absicht, das Land zu parzellieren und mit großem Gewinn zu verkaufen. Dies gelang ihm bereits nach zwei Jahren, als er den Platz an der „Einsamen Pappel“ zu einem äußerst hohen Preis an den Preußischen Militärfiskus verkaufte, der dort den Exerzierplatz des Alexander-Regiments der Preussischen Armee anlegte. Dieser Platz befindet sich von hier aus gesehen genau auf der anderen Straßenseite: Heute sind dort die Fußballplätze, der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Echte Berliner nennen ihn bis heute den „Exer“. Gleichzeitig kaufte die jüdische Gemeinde von Berlin ein fünf Hektar großes Grundstück an der nun „Chaussee nach Pankow“ genannten Straße zur Anlage eines Friedhofs, des Jüdischen Friedhofs. Die Schönhauser Allee trägt endlich seit dem 27. Dezember 1841 ihren heutigen Namen.

Ausflugsziel Prenzlauer Berg und „Boulevard des Nordens“
Zunächst war der Prenzlauer Berg ein Ausflugsgebiet. Unweit von hier beginnt die Kastanienallee, sie war eine der ersten Querstraßen, die zur Schönhauser Allee gebaut wurde. Die Kastanienallee wurde 1826 angelegt und war, was der Name verspricht. In der Verlängerung des Weinbergweges wanderte an ihr entlang vom Rosenthaler Platz aus die Bebauung den Hügel hinauf. Doch bereits zuvor hatte sich an ihrem nördlichen Ende die Ausflugsgaststätte im Pratergarten, die bis heute besteht, etabliert. Das Areal beherbergt neben dem Biergarten und der Gaststätte eine Spielstätte der Volksbühne, auch das hat Tradition.

Bier wurde hier bereits 1837 ausgeschenkt. Außerdem erwartete die Besucher der Freizeit- und Vergnügungsgaststätte des ein abwechslungsreiches Varieté- und Volkstheaterprogramm. Unter den Veranstaltungen im 1905 eröffneten Festsaal waren auch Kundgebungen der Arbeiterbewegungen mit Rednerinnen und Rednern wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und August Bebel. Seit den 20er Jahren bestimmte das Kino den Kulturbetrieb im Prater, nach dem 2. Weltkrieg zog dazu die Volksbühne ein, während deren Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wieder aufgebaut wurde. Die DDR überdauerte der Betrieb als Kreiskulturhaus, in dem sich die Kunst- und Kulturszene Ostberlins traf. Nach der Wende zog irgendwann wieder die Volksbühne ein und unterhält dort eine Außenstelle.

Die gesamte Hochbahnanlage in der nördlichen Schönhauser Allee gehört seit 1979 zur Liste der Bezirksdenkmäler. Aus der Mittelpromenade der Straße taucht die Untergrundbahn auf und schwingt sich bis zur Station Eberswalder Straße auf ihr berühmtes Hochbahnviadukt. Dort beginnt die ganz andere nördliche Hälfte der Schönhauser Allee, die hier zu einer belebten Einkaufsstraße wird. Und das in langer Tradition. Dutzende von Geschäften, Kneipen, Theatern, Kinos, Restaurants und Handwerksbetrieben gaben der Schönhauser Allee schon vor dem 2. Weltkrieg im Volksmund Namen wie „Textilmeile“ oder „Boulevard des Nordens“.

Reformiertes Wohnen: Bremer Höhe
Eine erste Besiedlung des Prenzlauer Berges fand wenige Meter von hier entfernt statt: Dort, wo heute die Schönhauser Allee 58 steht. Die Bautätigkeiten auf der Bremerhöhe (später Bremer Höhe) begannen 1849 noch vor den Toren der Stadt. Unter der Mitwirkung des Sozialreformers Victor Aimé Huber und seiner Frau Auguste wurden sechs Cottages für 15 Familien bebaut, die sich einem rigiden Verhaltenskodex unterzuordnen hatten. Die Siedlung erhielt den Namen Bremerhöhe, da der Schwiegervater Hubers, der die Initiative finanziell stützte, ein Bremer Senator war.
Bald schon rückte die Stadt näher. Die Bodenpreise stiegen und die Nutzung der Grundstücke musste intensiviert werden, weil ohne höhere Renditeerwartungen keine Geldgeber zu finden waren. Zwischen 1870 und 1913 entstand die bis heute erhaltene mehrstöckige Blockrandbebauung mit Backsteinfassaden. Die Wohnblöcke, die in den Innenhöfen weitläufige Grünanlagen beherbergen, unterscheiden sich deutlich von den ansonsten typischen Grundrissen und Ausstattungen des wilhelminischen Mietshaus, das in der Gegend ansonsten üblich war und ist.

Industrialisierung und Mietskasernen
Die Industrialisierung schwappte im 19. Jahrhundert auch über Berlin und damit explodierten die Einwohnerzahlen. Und so wurde aus dem Gebiet auf dem Hügel, auf dem einmal Wein angebaut worden war und ansonsten neben vielen Windmühlen auch einige Ausflugsgaststätten standen, eine der am engsten besiedelten Gegenden der Welt. In London lebten damals sieben, in New York zwölf, im Prenzlauer Berg 70 Einwohner pro Haus. Ein solches Haus, Mietskaserne genannt, bestand in der Regel aus einem fünfgeschossigen Vorderhaus, mindestens einem Seitenflügel und zwei Hinterhäusern. Insgesamt war die Lage in den Hinterhäusern eng und bedenklich: Schon bald stellten Mediziner Zusammenhänge zwischen der Wohnsituation und dem Gesundheitszustand ihrer Bewohner fest. Einer umfassenden Untersuchung und Fotodokumentation der Lebensverhältnisse Lungenkranker verdanken wir Einblicke in die Wohnsituationen der einfachen Menschen um 1900.

Leben an der Mauer
Zu DDR-Zeiten war der Prenzlauer Berg ein Grenzgebiet. Wo in wenigen hundert Metern von hier aus heute der Mauerpark ein wenn auch etwas trister, so doch umso beliebter Stadtpark ist, befand sich bis 1989 der Mauerstreifen. Von den zugangsbeschränkten Wohnhäusern in Grenznähe aus war der Wedding zu sehen ein . Einer der berühmtesten Filme der Defa hieß „Berlin - Ecke Schönhauser“ und machte im Jahr 1957 die Kreuzung Schönhauser Allee / Danziger Straße zum Schauplatz der Geschichte um eine Gruppe Jugendlicher, die mit den eigenen Lebensumständen und der geteilten Stadt zu kämpfen hat. Im Film wird eine Laterne am U-Bahnhof Eberswalder Straße zerworfen und sich in der Prater-Gaststätte sehenswert geprügelt.

von OTFW, Berlin [GFDL oder CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons

Noch mehr Filmgeschichte: Auf dem Bürgersteig an der Kastanienallee ist ein Schriftzug eingelassen mit dem der Berliner Künstler Manfred Butzmann an die Brüder Skladanowsky erinnert. Max als Entwickler des Bioscops und Emil als Darsteller machten im Dachboden-Atelier im Eckhaus 1892 die ersten deutschen Filmaufnahmen. Jahre, in denen sie kleine Szenen aufnahmen, folgten, auf dem Markt setzte sich jedoch der Cinématograph der Gebrüder Lumière durch. Was noch? Auch Ernst Lubitschs Hollywood-Karriere begann weiter unten an der Schönhauser Allee.
In der Schönhauser Allee befindet sich außerdem der jüdische Friedhof, auf dem u.a. Max Liebermann begraben ist. Das jüdische Waisenhaus dort gegenüber war Schauplatz furchtbarer Deportationen zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges. In der Schönhauser Allee wurden legendäre Orgeln gebaut und vielleicht die Currywurst erfunden. Hier, an „Konnopke’s Imbiss“, strömen die Passanten im Ampeltakt vorbei. Auf dem Mittelstreifen der Schönhauser Allee, unter der Hochbahn, wird seit mehr als 75 Jahren die legendäre Wurst gebraten. Die gelben Züge der U-Bahn fahren ab hier auf Höhe des ersten Stocks über ihr grün-eisernes Viadukt.

Die bereits eingangs zitatgebende Schriftstellerin Daniela Dahn wollte das Geheimnis des Prenzlauer Bergs ergründen und hat sich Mitte der achtziger Jahre zu einer Berg-Tour aufgemacht. Sie ist dabei auf Menschen und Orte getroffen, deren Geschichten sich zu einem lebendigen Porträt verdichten. Das Ergebnis ihrer Erkundungen erschien 1987 und wurde in der späten DDR zu einem Kultbuch: Prenzlauer Berg-Tour.

An der Ecke Sredzkistraße wurde 1970 der Franz-Club mit attraktiven Musik- und Tanzveranstaltungen eröffnet, die bald in der ganzen Republik bekannt wurden. Während der Unruhen im Herbst 1989 wurde die wenige Schritte von der Schönhauser Allee entfernte Gethsemanekirche in der Stagarder Straße mit Fürbittegottesdiensten, Mahnwachen und friedlichen Demonstrationen zu einem der wichtigsten Zentren der friedlichen Revolution innerhalb Ost-Berlins.

Nun, wer in der Mitte der Schönhauser, gleich neben unserem Haus, einzig eine große, unübersichtliche Kreuzung erkennen kann, liegt nicht ganz richtig: Wo sechs Richtungen aufeinander prallen, sieht der echte Prenzlauer-Berg-Anwohner mit feuchten Augen einen ebenso historisch wie lebensqualitativ bedeutsamen Ort. Mit Recht – ein Heimatgefühl kann auch mal laut sein und dem Rhythmus der Ampelschaltungen unterliegen.